Weibliche Hormone und Herz-Kreislauferkrankungen
1. Herz- / Gefässerkrankungen (kardiovaskuläre Erkrankungen)
Das normale Menopausenalter liegt in Europa bei 51-52 Jahren. Heute sind bei uns über 30% aller Frauen 50 Jahre alt oder älter. Daher dürfen wir uns der Diskussion der langfristigen Folgen des für die Jahre nach der Menopause typischen Oestrogenmangels nicht verschliessen. Dazu gehört das häufig erhöhte Osteoporoserisiko (siehe dort) und die Zunahme von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Diese können zu Herzinfarkten und dadurch zum Tode führen und werden unter dem Begriffe «kardiovaskuläre Erkrankungen» zusammengefasst.
Aus einer klassischen Untersuchung (der Framingham Study von 1974) wissen wir, dass ein Oestrogenmangel, vor allem wenn er bereits in jungen Jahren eintritt, zu einem erhöhten Risiko von Erkrankungen der Herzkranzarterien führt: In jeder Altersgruppe besitzen diejenigen Frauen, die sich bereits nach der Menopause befinden, ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Dies gilt insbesondere für Frauen mit vorzeitiger Menopause (unter 40 Jahren) und früher Menopause (unter 45 Jahren).
Es liegt daher nahe, dass zwischen der Produktion von Hormonen der Eierstöcke und den Risiken für kardiovaskuläre Erkrankungen ein Zusammenhang besteht, in dem ein Oestrogenmangel bei entsprechender Veranlagung dieses Risiko begünstigt. Dennoch wurde in den letzten Jahren oft behauptet, dass eine Hormongabe nach der Menopause das kardiovaskuläre Risiko erhöht.
Was gilt nun? Heute wissen wir, dass der Einsatz von Östrogenen bei gesunden Frauen nach der Menopause keinerlei Risiken für eine koronare Herzkrankheit mit sich bringt, wenn die Hormonersatztherapie (HET) innerhalb der ersten 10 Jahre nach der Menopause oder unter dem Alter von 60 Jahren begonnen wird. Aus einer grossen amerikanischen Studie (der sog. Women’s Health Initiative-Studie (WHI-Studie)) folgt, dass unter einer HET das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen nur bei denjenigen Frauen erhöht ist, welche ihre Hormoneinnahme neu im Alter von über 70 Jahren begonnen haben. In dieser Gruppe wurden 19 zusätzliche Fälle pro 10'000 Frauen pro Jahr beobachtet. Ein solch später Beginn ist nach heutiger Ansicht falsch. Hingegen fand sich kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei den Frauen, die ihre HET vor dem 60. Altersjahr oder innert der ersten 10 Jahre nach der Menopause begonnen haben.
In der Altersgruppe von 50-59 Jahren kam es in der WHI sogar zu einer Senkung der Sterblichkeit (10 Todesfälle weniger pro 10'000 Frauen pro Jahr).
Diese Altersabhängigkeit der Wirkung einer Hormongabe auf kardiovaskuläre Erkrankungen wird durch die Theorie des «günstigen Fensters» erklärt. Die HET besitzt nach dieser Theorie einen günstigen Effekt auf die noch weitgehend gesunden Gefässe. Also dann, wenn sie früh nach der Menopause begonnen wird. Dagegen besitzt sie eine ungünstige Wirkung, wenn der Beginn der Hormongabe spät bei bereits krankhaft veränderten Gefässen erfolgt.
2. Tiefe Venenentzündungen und Lungenembolien (venöse Thromboembolien)
Das Risiko für venöse Thromboembolien steigt mit dem Alter und dem Gewicht an. Unter-suchungen haben gezeigt, dass eine HET in Tablettenform das Risiko venöser Thrombo-embolien ums zwei- bis dreifache steigert. In der WHI-Studie betrug in der Altersgruppe von 50–59 Jahren unter HET die Anzahl von venösen Tromboembolien ungefähr zwei zusätzliche Fälle pro 10’000 Frauen. Diese zusätzlichen Fälle traten nur während den ersten zwei Behandlungsjahre und nur bei übergewichtigen Frauen (BMI über 25) auf.
Unter transdermaler Östrogenbehandlung (Pflaster, Gel) ist das Risiko nach den ersten Berichten nicht erhöht. Eine HET ist ohne genaue Abklärung bei familiärer Belastung und nach einer früheren Venenthrombose nicht zu empfehlen.
3. Schlaganfälle (Ischämische cerebrovaskuläre Insulte)
In allen Altersgruppen zusammen zeigte die WHI über den Zeitraum von fünf Behandlungs-jahren ein absolutes zusätzliche Risiko für Schlaganfälle von vier zusätzlichen Fällen auf 1000 Frauen. Der Einsatz einer HET bei Frauen unter dem Alter von 60 Jahren ist aber nicht mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle verbunden.
Merkpunkte
- Bei jungen gesunden postmenopausalen Frauen kann eine HET ohne Angst vor einem erhöhten kardiovaskulären oder cerebrovaskulären Erkrankungsrisiko begonnen werden, wenn die Indikation nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung stimmt.
- Bei Risikofaktoren für tiefe Venenentzündungen, Embolien oder Schlaganfällen braucht es eine individuelle Beratung. Hier sollte in der Regel eine transdermale HET vorgezogen werden.
Prof. Dr. med. M. Birkhäuser
Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Gynaekologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin